Das Mekka der Automobilindustrie ist aufgewacht

Es geht nicht nur um Emissionen, nicht nur um neue technische und wissenschaftliche Lösungen in der Automobiltechnik. Gibt es auch Lösungsansätze der schadstofffreien Mobilität, ist doch der gesellschaftspolitische Aspekt der Mobilität der Zukunft weitestgehend ungelöst. Das 19. Internationale Stuttgarter Symposium Automobil- und Motorentechnik konnte zwar keine Antwort geben, aber eine positive Aufbruchsstimmung beschrieben.

 

Absam/Stuttgart. Seit neunzehn Jahren veranstaltet das Forschungsinstitut für Kraftfahrzeugwesen und Fahrzeugmotoren Stuttgart (FKFS) sein Motorensymposium, doch das hat es noch nie gegeben: „Bitte beachten Sie bei der Anreise: In Stuttgart besteht ein Verkehrsverbot für alle Kraftfahrzeuge mit Dieselmotor der Abgasnorm 4 / IV und schlechter“. Noch vor einem Jahr kaum vorstellbar im Mekka der Automobilindustrie. Nichts hätte die Botschaft vom Ministerpräsidenten Baden-Württembergs, Wilfried Kretschmann besser unterstreichen können, wenn er meinte, dass „…die Zeit auf neue Lösungen in der Mobilität drängt, die Klimaziele immer näher rücken und ihre Erfüllung nur mit neuen, sauberen Antriebstechniken möglich ist“. Der Druck auf die Automobilindustrie wächst. Antrieb und Emissionen, autonomes Fahren und Vernetzung, disruptive Fahrzeugarchitekturen, Fahrdynamik-Regelsysteme und Thermomanagement sind nur einige Beispiele für die Themenfelder, in denen sich Hersteller und Zulieferer enormen technologischen Herausforderungen gegenüber gestellt sehen. Und sie scheinen diese Herausforderung angenommen zu haben.

 

Die gesellschaftspolitische Dimension
Nahezu alle Fahrzeughersteller und auch ihre Zulieferer haben erkannt, dass die Transformation der Automobilindustrie nicht nur mit einer Veränderung der Fahrzeugtechnik einhergeht, sondern auch schon lange eine gesellschaftspolitische Komponente hat. Natürlich sind der zunehmende Verkehr und volle Städte, die Abgase und die damit verbundenen Umweltbelastungen ein Problem. Sie führen nicht nur zu Kostensteigerungen, sondern auch zu Regulierungen und Verboten. Die daraus entstehende emotionale Diskussion muss versachlicht werden. Denn wenn die Spirale so weitergeht, kommt es zu immer weniger Mobilität und zur Unzufriedenheit in der Bevölkerung. So wie in Frankreich, wo die Gelbwesten Bewegung aus der Einschränkung der individuellen Mobilität entstanden ist.

 

Die Versachlichung der automobilen Transformation 
Am Beispiel Stuttgart, das mit seinen Fahrverboten in brasilianischen und japanischen Medien bereits als die dreckigste Stadt Deutschlands beschrieben wird, lässt sich die massive Polarisierung in der öffentlichen Wahrnehmung ablesen. Stuttgart, die Stadt der Automobilindustrie schlechthin, ist eine der ersten Städte mit Fahrzeug- und Mobilitätsverboten. Und da man den Fakten zur allgemein bekannten Umweltbelastung nicht aus dem Weg gehen kann, sagen alle, dass die Elektrifizierung eine gute Möglichkeit der Problemlösung ist. Unterschiedlich ist nur die Frage nach der Ausprägung. „Wir müssen gemeinsam - Wirtschaft, Gesellschaft und Politik eine Brücke in die Mobilität der Zukunft bauen“, so das Fazit von Dr. Nicole Hoffmeister-Kraut, Landesministerin für Wirtschaft, Arbeit und Wohnungsbau in Baden-Württemberg zum Abschluss des 19. Internationalen Stuttgarter Symposiums. „Dabei ist Technologieoffenheit ein wesentliches Merkmal der aktuellen Veränderungen“, so auch das Resümee von Prof. Dr. Hans-Christian Reuss, Vorsitzender des Vorstandes des FKFS und Ausrichter des Symposiums.

 

E-Mobilität - Teil des Lösungsansatzes 
Zunächst ist das Attraktive an der E-Mobilität, dass sie einen guten Beitrag zur Vermeidung lokaler Emissionen leistet. Damit kommt in Summe der Gesamtbetrachtung der Elektrifizierung des Antriebsstrangs eine hohe Bedeutung zu. So stellt Volkswagen derzeit zwei Produktionswerke komplett auf den Bau von E-Fahrzeugen um. Auch Zulieferer, wie die Branchenführer ZF Friedrichshafen und der Maschinenbauer GROB haben enorme Investitionsanstrengungen im Bereich der Elektromobilität unternommen. Waren bei ZF Friedrichshafen im Jahr 2013 noch weniger als 3.000 Mitarbeiter im Geschäftsfeld Elektronische Systeme beschäftigt, sind das in der mittlerweile umbenannten Division E-Mobility über 5.300 Beschäftigte. Bei GROB laufen die Investitionen in den Aufbau eines neuen Unternehmenszweigs „E-Mobilität“ schon  seit mehreren Jahren. Heute ist das Unternehmen in der Lage, eine serienreife  Produktion von Hybride und Elektroantrieben anbieten zu können.

 

Transformation - mehr als eine Technologie-Substitution
Die aktuelle Transformation, wie sie die Automobilbranche im Wettbewerb mit Technologiekonzernen um das „digitale Automobil“ erlebt, stellt Geschäftsmodelle und grundlegende Prozesse der Wertschöpfung in Frage – und beschleunigt sämtliche Innovationszyklen. Tatsächlich werden von vielen der Plug-in-Hybrid als idealer Antrieb für Fahrten außerhalb der Städte angesehen, da er die Vorteile des Verbrennungsmotors und des E-Antriebs optimal kombiniert. Der Transformationsprozess ist aber nicht nur eine große technische Herausforderung, bei der ökologische und ökonomische Randbedingungen einzuhalten sind, sondern er wirft immer mehr die Frage auf, wie es gelingen kann, nachhaltige Individualmobilität für alle Gesellschaftsschichten dauerhaft zu garantieren. 

 

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