Eine in Vergessenheit geratene französische Automobilmarke

Frankreich hat eine lange und große Automobiltradition. Eine Tradition, geprägt durch seine französischen Automobilpioniere wie André Citroën, Armand Peugeot oder andere, weniger bekannte Automobilkonstrukteure, wie Gabriel B. Voisin, der von 1919 bis 1939 mit seiner Marke „Avions Voisin“ von sich reden machte. Die Retro Classics zeigt mit Unterstützung des Voisin Freundeskreises eine Reihe seiner Kult-Fahrzeuge.

Die Geschichte des französischen Automobils ist so alt wie das Automobil selbst. So gilt Peugeot als die älteste noch existierende Automarke überhaupt. Bereits 1889 ließ Armand Peugeot das erste Kraftfahrzeug, das sogenannte Serpollet-Dreirad bauen; ein mit Dampf angetriebenes Fahrzeug, das man heute als „Prototyp“ bezeichnen würde. Citroën gilt als „Créateur d’Automobile“, hat das Autofahren demokratisiert, die Werbung revolutioniert, Skulpturen auf die Straße gebracht, technische Kunstwerke geschaffen und startete im Jahre 1919 seine Automobilproduktion. Dabei erwies sich André Citroën als visionärer Techniker, der zum Beispiel die ersten verstellbaren Vordersitze und die ersten Bremsleuchten verbaute, das Holz durch Ganzstahl-Karosserien ersetzte oder Unfälle simulierte, lange bevor das Wort Crashtest erfunden worden war.

Gabriel B. Voisin – genialer Konstrukteur und Luftfahrtpionier
Zufall oder nicht: Im gleichen Jahr, als Citroën seine Automobilproduktion startete, begann Gabriel B. Voisin in at Issy-les-Moulineaux, nahe Paris anspruchsvolle und optisch sehr eigenwillige Automobile herzustellen, die mit ventillosen Motoren (4,6 und 12 Zylinder), so genannten Schiebermotoren ausgestattet waren. Ursprünglich hatten Gabriel B. Voisin und sein Bruder 1906 die erste Flugzeugfabrik der Welt gegründet, noch vor den Gebrüdern Wright, in der bis 1920 Flugapparate hergestellt wurden. Mit Ende des ersten Weltkriegs ebbte die Nachfrage ab, sodass sie ihre Produktion auf Automobil umstellten. Der Markenname „Avions Voisin“ ihrer Autos erinnerte an die Luftfahrtvergangenheit, die in Form des Leichtbaus, der ausgeglichenen Gewichtsverteilung und der Verwendung von Aluminium ihren Niederschlag fand. Ihre modernen Karosserien mit Art-Déco-Linienführung waren wahre Kennzeichen dieser Ära. Voisin und sein Konstrukteursteam – unter ihnen der geniale André Lefèvre, der später bei Citroen die legendären Modelle Tarction Avant, 2CV und DS mitgestalten sollte - wollten die modernsten Autos ihrer Zeit herstellen. Sie wurden besonders für ihre üppige Ausstattung und für ihre technische Finesse geschätzt. Waren sie doch vor dem Zweiten Weltkrieg etwas vom Besten auf vier Rädern. Leichtbau, aerodynamische Gestaltung, modernste Technik, wie Schiebermotoren und Vorwählgetriebe – und eben Luxus pur.

Aller Anfang war schwer und die Konkurrenz groß
Im Juni 1919 stellte Voisin auf dem Pariser Salon sein erstes Fahrzeug, den Avions Voisin M1 vor. Allerdings keine Eigenkonstruktion, sondern ein Fahrzeug, das ihm bei einem Nachtessen mit seinem engen Freund André Citroën von einem gewissen Ernest Artault angeboten worden war. Voisin kaufte die Konstruktionszeichnungen dieses außergewöhnlichen Fahrzeugs, das von einem 4-Liter-Vierzylinder-Schiebermotor angetrieben wurde und mit einem Radstand von 3500 mm auch für damalige Verhältnisse riesen groß war. Nach dem M1 folgten der C1 und bald der C2 („C“ ironisch für char, Panzer). Diese frühen Fahrzeuge der Marke Avions Voisin waren trotz einiger Kinderkrankheiten für ihre Qualität und ihre leisen, zuverlässigen Motoren sehr geschätzt. Mit dem Avions Voisin C11 Lumineuse schaffte Voisin eine Design-Revolution. Und das Beste: für ein Luxusfahrzeug war der C11 nicht einmal so teuer.

Voisin C6 Laboratoire: Grand Prix Rennwagen von 1923
In den Zwanzigern und Dreißigern perfektionierte Voisin seine Automobile zu aerodynamischen Luxuslimousinen, die bald einen Platz in den Garagen der Reichen, Schönen und Berühmten fanden. Auch im Motorsport, insbesondere bei Geschwindigkeits- und Langstreckenrennen, sorgte die Marke mit dem geflügelten Emblem für einiges Aufsehen. So entwickelte er 1923 den C6 Laboratoire Voisin, ein Alu-Monocoque mit einer Alu-Karosse in selbsttragender Bauweise, quasi ein Flugzeug auf Rädern. Vorne deutlich breiter als hinten. Ein Propeller auf dem Kühler trieb die Wasserpumpe an. Ein Leichtgewicht von nur 660 kg, das von einem 80 PS starken ventillosen Doppelschiebermotor angetrieben wurde und eine Höchstgeschwindigkeit von 175 km/h ermöglichte. Wirkliche Rennsporterfolge konnte Voisin mit seinem C6 allerdings nicht vorweisen, da er gegen die Kompressorwagen der Konkurrenz nichts ausrichten konnte. Heute heißt es, sie seien deshalb eingeschmolzen worden, obwohl bis 1930 mit dem C6 dutzende Weltrekorde auf Distanzen bis 50.000 Km aufstellt werden konnten.

Avions Voisin heute – Ein kleiner enthusiastischer Freundeskreis
Von den etwa 10.000 jemals produzierten Avions Voisin gibt es heute noch etwa 260 Fahrzeuge, teils in Museen, aber vor allem in den Händen enthusiastischer Sammler. Die Marke genießt unter Liebhabern französischer Automobile großes Ansehen. Die Restaurierung und Wartung der teils komplexen Voisin-Automobile gelten jedoch als sehr anspruchsvoll und sind damit auch entsprechend teuer. Ein 1986 gegründeter Club vertritt die Interessen des Voisin-Freundeskreises, unterstützt bei der Beschaffung von Ersatzteilen und stellt den Mitgliedern technische Literatur zur Verfügung.
Kontakt: www.avions-voisin.org und secretaireagv@gmail.com.

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