Politische Formel 1: Mercedes Silberpfeile tragen Schwarz

Mit schwarzer Lackierung der W11 Rennwagen „Silberpfeile“, schwarzen Rennoveralls und schwarzem Helmdesign seiner Rennfahrer wird Mercedes in die Formel 1-Saison 2020/2021 starten und damit „… ein klares Statement gegen Rassismus und Diskriminierung abgeben…“, so die Mercedes-Presseaussendung. Ein ambitioniertes, wie gefährliches und schwieriges Abenteuer, mit offenem Ausgang. 

Paukenschlag vor dem Start des ersten Rennens der Formel 1-Saison 2020/2021 am Red Bull Ring in Spielberg: Mit einem komplett in schwarz gestylten „Silberpfeil“ wirft das Mercedes-Benz Motorsport Team nicht nur all seine Motorsport-Traditionen über Bord, sondern sprengt auch alle über Jahrzehnte gepflegte politische Zurückhaltung der zur Neutralität verpflichteten Daimler-Zentrale. 

Einsatz für mehr Vielfalt und Integration
Natürlich lässt sich fragen, was die Farbe schwarz mit der Gleichberechtigung ethnischer Vielfalt oder der Frauen zu tun hat. Sicherlich ist auch die Frage berechtigt, was ausgerechnet der millionenschwere Rennzirkus durch das schiere schwarze Lackieren seiner Rennwagen erreichen kann. Eine frustrierende Erfahrung musste Jonny Cash machen, der schon im Jahre 1971 in seinem Lied „Man in Black“ gesungen hat, dass er „…  schwarz für die Armen und die Niedergeknüppelten, die im hoffnungslosen, hungernden Teil der Stadt wohnen und andere Benachteiligte der Gesellschaft trage“. Nichts hat sich seitdem geändert. Denn nur die Lackierung ändert nichts, sondern das Vorleben in der Gesellschaft. So bleibt es also spannend, ob die lange Reihe der geplanten, gesellschaftspolitischen Aktivitäten, die man sich im Team Mercedes-AMG vorgenommen hat, auch tatsächlich umgesetzt werden können.

Gewagtes Experiment – gefährliches Spiel
Um den Switch von „Silber nach Schwarz“ emotional richtig einschätzen und verstehen zu können, lohnt ein Blick in die Mercedes-Motorsportgeschichte. „Silberpfeil“ war bereits in den Jahren vor dem Zweiten Weltkrieg die volkstümliche Bezeichnung für die deutschen Grand-Prix-Rennwagen, als die Fahrzeuge von Mercedes-Benz im blanken, silbern schimmernden Aluminium von Sieg zu Sieg fuhren.

Dass Silber zum Mythos wurde ist aber eher dem erfolgreichen Vorkriegsjahrzent von Mercedes, als der Legende der Abschmirgelaktion vor dem Eifelrennen 1934 geschuldet. Doch weder die ab 1997 teilweise silberfarben lackierten Rennwagen von McLaren-Mercedes als auch die GT-Rennwagen Mercedes-Benz CLK-GTR und Mercedes-Benz CLR der späten 1990er Jahre gingen offiziell als Silberpfeile ins Rennen. Silber war „heilig“ und zum Siegen verdammt! Erst im Jahre 2010 starteten mit Michael Schumacher und Nico Rosberg erstmals wieder Werks-Silberpfeile von Mercedes in der Formel 1.

Silber – die heilige Kuh wird jetzt also geschlachtet. Geschlachtet, wie der faszinierende Mercedes-Slogan der 1950/1960er Jahre „Ihr guter Stern auf allen Straßen“. Und das in einem Traditions-Unternehmen, in dem das Verwaltungshochhaus bedrohlich ins Wanken geriet, als in den 1970/1980er Jahren die unteren beiden Schenkel seines Wahrzeichens um weniger als ein Grad auseinander gebogen werden sollten, damit der Stern dreidimensional dargestellt werden konnte. 

Von Sport, Politik und Public Relations
Und doch. Das hat es in der Mercedes-Benz Motorsport Kommunikation so noch nicht gegeben: Eine vier Seiten lange Presseaussendung zum bevorstehenden Start des ersten Formel 1-Rennens 2020/2021. Nichts über das Rennen, kein Wort, sondern nur über (Gesellschafts-)Politik und Eigenwerbung. Von einem "Vielfalts- und Integritätsprogramm, das man auflegen will", ist die Rede. Von der "forensischen Analyse der Einstellungs- und Entwicklungsprozesse im Team" und von "gezielten Bildungsinitiativen, um jungen Menschen aus unterrepräsentierten Gruppen eine Karriere in der Formel 1 zu ermöglichen". Oder die Frage, "wie der Rennsport dazu genutzt werden kann, um mehr junge Schwarze für MINT-Fächer (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft, Technik) zu interessieren, um sie später in den Teams oder anderen Ingenieursbereichen anzustellen". Das wäre übrigens auch eine gute Frage gewesen für mehr junge Weiße, wenn der Vergleich erlaubt sein darf.

Man darf also gespannt sein, was noch alles passiert im Mercedes-AMG Petronas Formel 1 Team. Die Zeiten des schieren Formel 1-Motorsports der Caracciolas, Fangios und Schumachers scheinen nun endgültig vorbei zu sein. Mexiko 1968: Tommie Smith und John Carlos lassen grüßen!