Modularität – Teil der VW-Unternehmenskultur

Immer neue Absatzrekorde, sogar das Weltmarktwachstum übertroffen und das erklärte Ziel, mit zehn Millionen Fahrzeugen in 2018 weltweit die Nummer 1 zu werden, fest vor Augen. Volkswagen strotzt vor Selbstbewusstsein, fährt weiter seinen Expansionskurs – mit allen Risiken, aber nicht wirklich überraschend. Der Erfolg hat viele Väter.

 

Die Abwrackprämie ist Geschichte und die Spekulationen über die Phase „eins“ nach dem Auslaufen der staatlichen Verkaufsanreize sind beendet. Die Volkswagen AG kann sich, als einer der großen Gewinner der Abwrackprämie in vielen europäischen Ländern und aller Unkenrufen zum Trotz, über ein weiteres sattes Absatzplus freuen. Grund: eine ungebrochene Kauflust in den wichtigsten Absatzmärkten des Wolfsburger Konzerns, wie etwa China, Brasilien und selbst in den USA (!). Doch auch in Europa und besonders in Westeuropa konnte der Volkswagenkonzern in diesem Jahr mit zweistelligen Absatzzuwächsen glänzen. Und selbst in Deutschland, einem nach dem Auslaufen der Abwrackprämie rückläufigen Markt, wurde noch ein Absatzplus erzielt. Doch woher kommt dieser Erfolg? Einem Konzern, der von der kleinen Porsche AG vor knapp zwei Jahren fast übernommen worden wäre? Wie schafft VW die Herkulesaufgabe, eine riesige Palette an Pkw- und Nfz-Marken zu steuern? Zu steuern in der Entwicklung, der Produktion und besonders im Vertrieb? Das Zauberwort heißt „Modularität“.

 

VW-Baukasten- und Standardisierungsstrategie
„Bei Volkswagen wurde aus einer zwingenden Notwendigkeit heraus die Modularität zur Leitphilosophie in der VW-Unternehmenskultur erhoben und hat so über den gesamten Wertschöpfungsbereich Einfluss genommen“, betont Dr. Ulrich Hackenberg, VW-Entwicklungsvorstand letzte Woche auf einer Veranstaltung in Graz. Und das betrifft alle Bereiche des Unternehmens, beginnend bei der Frage nach den Chancen der europäischen Produktionsstandorte, die vor der Erweiterung der Märkte - nicht nur bei VW - immer wieder infrage gestellt werden. Eine Frage, die VW mit einer eigens entwickelten Baukasten- und Standardisierungsstrategie beantworten will. „Das Wesentliche ist“, so Hackenberg, „dass wir die Kosten unserer Standorte senken, sie flexibler gestalten und so ihre Ausnutzung sichern“. Bei VW mit zwölf verschiedenen Marken eine wahre Sisyphusarbeit. Eine Schnittmengenaufgabe, die etwas mit Technik zu tun hat. Die Vorstellung, 25.000 kreative Techniker im Entwicklungsbereich - die wiederum mit etwa 15.000 kreativen Dienstleistern und Zulieferern zusammenarbeiten - zu führen, sie nicht sternförmig auseinanderbrechen zu lassen und Gefahr zu laufen, dass ihre guten Ideen nicht mehr kompatibel sind, ist eine Herausforderung, die besonderer Werkzeuge bedarf. Die VW-Baukastenstrategie ist ein solches Werkzeug, mit dem es die Wolfsburger schaffen wollen. 

 

Sie erfolgt bei Volkswagen großteils über die modularen Quer- bzw. Längsbaukästen, geht bis in die Fertigung und in die Betriebsmittel hinein und zieht sich damit praktisch durch das ganze Unternehmen. Um Montagezeiten und Komplexitäten zu verringern, gibt es zum Beispiel beim Cockpit-Einbau zukünftig nur noch einen Einbaupunkt pro Linie für alle Modelle und nicht wie bisher drei Einbaupunkte. Früher hatten zum Beispiel Audi und VW unterschiedliche Produktionsprozesse, die alle zum gleichen Ergebnis führten: zum Einbau eines Schalters. Diese Prozesse sind jetzt mit dem modularen Querbaukasten standardisiert. Es gibt nur noch eine Methode und die gilt für das ganze Unternehmen. Auch beim Fahrwerkeinbau wurde mit dem modularen Fahrwerkrahmen Standardisierung in alle Fabriken gleichermaßen hineingetragen. Die Anzahl der weltweit verwendeten Rahmen sank dadurch von 750 auf nur noch 500 Varianten, die Betriebsmittelkosten reduzierten sich um Millionen-Euro-Beträge.

 

VW standardisiert seine Werksplanung
Auch bei der Planung neuer Fabriklayouts spielt die Standardisierung eine wichtige Rolle. Neue Werke wie in den USA oder in China werden über vergleichbare Standards und Layouts geplant und realisiert. Bei Audi in Györ soll so am bestehenden Standort ein völlig neues Werk quasi “angeflanscht” werden. Generell wurden so im Konzern die Produktionsprozesse standardisiert und jetzt weltweit in allen 62 VW-Fabriken, in denen Fahrzeuge und Komponenten gebaut werden, umgesetzt. In Deutschland sollen die Werke in Zwickau, Emden und Wolfsburg bis 2012/2013 entsprechend umgestellt sein. Dann wird VW endlich auf seine geplante Drehscheibenstrategie setzen und Produktionsvolumina flexibel in den Werken verschieben können. 

Das Thema „Baukästen“ nimmt bei Volkswagen also nicht nur Einfluss auf die Produktentwicklung, die Technik oder die Werksarchitektur sondern spielt im gesamten Unternehmen eine entscheidende Rolle. Modularität findet verstärkt in die Fabriken statt, um Kosten zu sparen. Darüber hinaus ist sie ein Organisationstool, um die Marken zu führen, einen hohen Deckungsgrad sicher zu stellen und so einen entscheidenden Beitrag zur Stärkung des Konzerns leisten zu können. 

 

Goldene Zukunft trotz schwierigem Umfeld? 
Eine der wichtigsten VW-Kernwerte ist „sorgenfreie, verlässliche Mobilität“ anzubieten, die nur mit einem hohen Qualitätsanspruch zu schaffen ist. Ein Anspruch, der nur realisiert werden kann, wenn sich das Unternehmen nicht von der Komplexität seiner Marken und Bauteile erschlagen lässt. Damit muss das Produktportfolio mit seinen aktuell 198 (177 + 19 von Porsche) verfügbaren Modellen klare Strukturen erhalten, um trotz aller ansteigender Komplexität handlebar zu bleiben. Klare Strukturen, um auf die unterschiedlichen Erfordernisse der Märkte eingehen zu können. 

 

Eine Forderung, die insbesondere für den US amerikanischen Markt gilt, den VW als einen seiner wesentlichen Wachstumsmärkte neben China und Indien betrachtet. Einen Markt, in dem VW nach eigener Einschätzung schwach vertreten ist und sich überproportional um das Vierfache steigern möchte. Um diese Erwartungen zu unterstreichen, baut Volkswagen derzeit ein Werk in Chattanooga/Tennessee, das das Motorenwerk in Mexiko ergänzen und zukünftig die Versorgung des amerikanischen Marktes sicherstellen soll. Darüber hinaus werden Indien und Russland als weitere Wachstumsmärkte – nicht nur für VW - definiert. Allerdings auf einem niederen Niveau. Indien wird sich für westeuropäische Automobilhersteller nur langsam entwickeln. Weitere Wachstumsmärkte sieht Volkswagen in Afrika, besonders in N-Afrika. In N-Afrika startete vor einigen Jahren die Industrialisierung - interessant für Komponenten (Kabelstränge oder andere Bauteile) –der Wohlstand wächst und mit ihm der Bedarf an Fahrzeugen. VW sieht für sich selbst bis 2018 ein Potenzial von plus 146 Prozent weltweit. Ein Minimalziel, das bestenfalls auch schon früher erreicht werden soll. 

 

Und doch. So ganz sorgenfrei kann die VW-Welt nicht sein. Die spanische Marke „Seat“ schreibt rote Zahlen, neue Seat-Modelle floppen und der spanische Markt liegt am Boden. Skoda, geplant als preiswerte Einstiegsmarke unterhalb VW, wird immer mehr zur Konkurrenz im eigenen Haus. Hochwertig ausgestattet ist Skoda eher Wettbewerber als „Markteinstiegshilfe“. Auch Bentley schreibt seit der Finanzkrise rote Zahlen. 

 

Eine weitere Baustelle im Konzern ist die Verschmelzung von Volkswagen und Porsche. In den USA haben Richter über milliardenschwere Schadensersatzklagen von Hedgefonds gegen Porsche zu entscheiden, die Stuttgarter Staatsanwaltschaft prüft derzeit mögliche unzulässige Marktmanipulationen durch Porsche beim Kauf von VW-Aktien. Alles keine guten Voraussetzungen für den für nächstes Jahr geplanten Deal, die familieneigene Vertriebsgesellschaft in Salzburg der Familien Porsche und Piech für 3,55 Milliarden zu kaufen. Fünfzig Prozent des Erlöses wollen die Familien zum Abbau der Schulden in die Porsche Holding stecken. 

 

Kopf-an-Kopf-Rennen entscheidet sich in den Schwellenländern
Ob VW sein ambitioniertes Ziel, zum Branchenprimus aufzusteigen erreichen wird, hängt nicht zuletzt von der Lösung seiner internen Probleme und der Realisierung seiner hochgesteckten Erwartungen in den VW-Zielmärkten ab. 2009 war Toyota mit 7,2 Millionen verkauften Fahrzeugen weltweit die Nummer 1. VW folgte mit 6,3 Millionen Fahrzeugen. Volkswagen hat in Europa, in China und in Brasilien gegenüber seinem größten Wettbewerber die Nase vorn. Toyota hat als Marktführer in Japan und in den meisten Märkten Asiens ein Heimspiel und auch in USA einen entscheidenden Vorsprung gegenüber VW. Das Rennen wird wohl auf Märkten wie Indien entschieden. Hier wurden 2009 fast 1,8 Millionen Fahrzeuge verkauft. Davon 55.000 Toyotas und 19.000 der Volkswagengruppe. In den nächsten Jahren wird sich zeigen, ob sich die neuen VW-Werke im indischen Pune, mit einer Kapazität von 110.000 Einheiten und im russischen Kaluga, mit einer Kapazität von 150.000 Einheiten auch auslasten lassen. Dann kann Volkswagen beweisen, ob es mit seiner neuen Firmenphilosophie tatsächlich das ganz große Rad drehen kann. Haben sich doch in der Vergangenheit zu viele Wettbewerber der Branche an ihrem selbst gewählten globalen Drehmoment übernommen.