Automobilindustrie vor der größten Herausforderung ihrer Geschichte

Nach Ansicht von Professor Jürgen Hubbert, Grand Seigneur der deutschen Automobilmanager, steht die boomende Automobilindustrie vor den größten Herausforderungen in ihrer 125-jährigen Geschichte, wird aber in den nächsten Jahren weiter stabil wachsen. Prof. Hubbert im Gespräch mit Robert A. Thiem.


 
Herr Professor Hubbert, quo vadis Automobilindustrie? Vor zwei Jahren noch totgesagt, jetzt überschlagen sich die Erfolgsmeldungen – ist diese Entwicklung überhaupt noch beherrschbar?
Jürgen Hubbert: Zunächst einmal freue ich mich mit den Kollegen über die aktuelle Entwicklung und auch über die Tatsache, dass wir alle die Krise so gut und positiv überstanden haben. Das darf aber sicherlich nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Automobilindustrie vor den größten Herausforderungen steht, die ich in den letzten vierzig Jahren, in denen ich dabei bin, erlebte und vielleicht sogar in den gesamten 125 Jahren des Automobils. Die Veränderungen in den Märkten, im Kundenverhalten, bei den gesetzlichen Rahmenbedingungen, in der Technik und letztendlich auch in den Strukturen führen sicherlich dazu, dass in den nächsten zehn Jahren mehr passieren wird, als in den letzten 50 Jahren zuvor. 

 

Doch glaube ich, dass diese Entwicklung relativ stabil ist. Getragen durch die Nachfrage, die sich aus den neuen Märkten ergeben. Auch wenn die Chinesische oder andere Regierungen einmal restriktiv einschreiten, ist die Nachfrage da. Man muss sich einmal vor Augen führen, dass in Deutschland auf tausend Menschen 515 Autos kommen und in China sind es 30 Fahrzeuge. In den Megacitys sind das natürlich schon mehr – aber der Bedarf ist da. Dann haben wir Indien mit 1,2 Milliarden Menschen. Die Schätzungen, die davon ausgehen, dass aus den 61 Millionen verkauften Fahrzeugen im letzten Jahr im Jahr 2025 über 100 Millionen werden können, halte ich für berechtigt. Und deswegen ist die Autoindustrie eine Wachstumsindustrie. 

 

Ausgehend von der hohen Nachfrage der Märkte, in wie weit sehen Sie kontraproduktive Entwicklungen hinsichtlich der weltweiten Rohstoffsituation. Schafft die Autoindustrie die entsprechenden alternativen Entwicklungen, um hier bestehen zu können?
Hubbert: Das kann man sicherlich nicht garantieren. Ich gehe davon aus, dass wir bei einigen Rohstoffen extreme Preissteigerungen haben, die sich früher oder später in den Preisen der Produkte niederschlagen werden. Auch dass sich - vielleicht nicht die Industrie, aber doch die Nationen - nicht ausreichend mit diesem Thema beschäftigen, sehe ich als eine gewisse Gefahr. China ist da wieder beispielhaft. Es hat sich offensichtlich mit ganz großem planerischen Weitblick in Afrika etabliert und dafür gesorgt, dass Bodenschätze in Afrika für China erschlossen werden können. Europa hängt da etwas hinterher und wir werden natürlich bei seltenen Erden und ähnlichen Themen möglicherweise mit Verknappungen konfrontiert werden. Wenn ich da zum Beispiel an Lithium für die Batterietechnik oder an Neodym für die Elektromotoren denke. Alles das muss  beachtet werden, warum aus meiner Sicht die Komplexität für die heutigen Entscheider sehr viel größer geworden ist. 

 

Die äußerst positive Entwicklung der Automobilindustrie ist hauptsächlich durch den chinesischen Absatzboom getrieben. Bis 2030 wird ein jährlicher Absatz von bis zu 25 Millionen Fahrzeugen p.a. erwartet. Welche Gefahren sehen Sie in der Entwicklung dieses wichtigen, aber auch politisch unsicheren Marktes?
Hubbert: Sicherlich ist das ein Thema, das es Veränderungen im chinesischen Markt gibt und sich damit die derzeit zweistelligen Zuwachsraten vielleicht reduzieren können. Doch bei Wertung aller politischen Richtlinien besteht die Tatsache, dass in China 1,3 Milliarden Menschen nach Mobilität fragen. 1,3 Milliarden, die Wohlstand generieren und die ähnlich leben wollen wie wir hier in Europa. Dabei gehe ich gar nicht davon aus, dass europäische Durschnittswerte in China erreicht werden. Aber es ist für mich keine Frage, ob da eines Tages 25 Millionen Autos verkauft werden können oder nicht. Die Frage ist nur wann! 

 

Als wir 1997 mit dem „Konzept Family Car“, dem Kleinfahrzeug in China waren, gab es eine Prognose, dass im Jahre 2015 etwa 220 Millionen Haushalte in China in die Lage sein werden, sich ein Auto kaufen zu können. Bei objektiver Betrachtung konnte sich das so nicht entwickeln, schon allein aufgrund der mangelnden Infrastruktur und ähnlicher Themen. Aber es ist einfach dieses riesen Potenzial da und ich glaube nicht, dass das eine Regierung dauerhaft unterdrücken kann. 

 

Mercedes hat bereits Anfang der 80er Jahre seinen Baby-Benz in China vorgestellt, zu einer Zeit, als der Santana von VW praktisch das einzige europäische Fahrzeug in der VR China war. Sie waren damals der verantwortliche Leiter für strategische Planung bei Mercedes und wurden wegen Ihres China-Engagements zum Teil belächelt. Gibt es heute bei Ihnen so etwas wie eine späte Genugtuung und hatten Sie tatsächlich mit einer solchen Entwicklung gerechnet?
Hubbert: Damals kamen wir alle auf Einladung der Regierung. Und es ist keine Genugtuung, sondern eine Bestätigung was heute passiert. Aber man muss auch sagen, wir wurden damals ganz schön reingelegt. Jeder von uns Industrievertreter hatte ja ein Konzept abliefern müssen mit dicken Unterlagen. Es wurde uns versprochen, dass dieses Konzept in den nächsten Fünf-Jahresplan aufgenommen wird, was dann nicht passiert ist. Doch die Chinesen hatten alle Unterlagen von den sich beteiligenden Firmen mit sehr kompetenten Informationen über industrielle Produkte und Anlagen. Letztendlich zum Profit der chinesischen Industrie. Wir hatten einfach zu spät gemerkt, dass es da noch einen spezifischen Hintergedanken bei diesem Thema gab. Aber erkennbar war auch schon damals, dass diese riesen Menge Menschen angesichts der wirtschaftlichen Entwicklung nach Mobilität streben werden und deswegen der Bedarf kommen wird. Wann, konnte man nicht abschätzen. Aus heutiger Sicht bereue ich es nicht, dass wir damals hingegangen sind. 

 

Welche Auswirkungen und Konsequenzen hat das Asiengeschäft für den Standort Europa?
Hubbert: Es gibt einen Punkt, der sicherlich in einer gewissen Weise dramatisch ist. Früher ist es uns gelungen, Rationalisierungsfortschritte durch Mengensteigerungen zu kompensie-ren. Da wir Wachstum auch in der Triade (EU, USA, Japan) hatten und die Triade von Deutschland aus beliefert wurde. Im letzten Jahr hat aber die deutsche Automobilindustrie im Ausland mehr produziert als im Inland. 5,7 Millionen Fahrzeuge im Ausland und 5,5 Millionen in Deutschland. Dieser Trend wird sich fortsetzen und man muss ehrlich konstatieren, dass das Mengenwachstum, das wir in Asien, in Brasilien und selbst in Russland haben werden, nicht mehr dazu führen wird, dass wir Rationalisierungseffekte in Europa ausgleichen können. Wir werden also kämpfen müssen, um die Arbeitsplätze am Standort Deutschland und Europa zu erhalten. 

 

Sehen Sie die Rationalisierungsmaßnahmen in Europa also am Ende?
Hubbert: Nicht am Ende, aber es werden keine riesigen Sprünge mehr gemacht werden können. Gerade in der Krise haben alle Unternehmen noch einmal genau hingeschaut und weitere Rationalisierungspotenziale gehoben. Besonders im Bereich Logistik und in den Arbeitsabläufen. Sicherlich kann hier auch die Technik etwas beisteuern, aber die wird ja eher komplexer als einfacher. So gehe ich davon aus, dass die sich entwickelnden Märkte Wert darauf legen, die wirtschaftliche Wertschöpfung in ihrem Land stattfinden zu lassen. So hat zum Beispiel Russland Ende letzten Jahres ein Gesetz verabschiedet, dass ausländischen Unternehmen, die in Russland produzieren wollen, mindestens 300.000 Autos auferlegt, bei relativ hohem „local content“. Erste Hersteller haben bereits unterschrieben. Das heißt aber ganz klar, dass das Produktionswachstum zukünftig vor Ort stattfinden wird. 

 

Ist diese Entwicklung vergleichbar mit der in den 70er und 80er Jahre, als es in der Automobilproduktion erste „local content“ Bestimmungen gegeben hat oder ist das heute noch schwieriger?
Hubbert: Im Gegenteil. Es ist sogar einfacher, da sich mittlerweile eine ganze Reihe von Zulieferern vor Ort angesiedelt hat. Damit ist die Frage nach einem hohen „local content“ nicht mehr so schwierig wie in der Vergangenheit. Damals hatten wir mit Teppichen oder Reifen - also mit „low-tec“ Geschichten angefangen, die man im Lande erwerben konnte. Heute sind praktisch alle Tier 1 vor Ort und sie können alle Komponenten kaufen, die Sie auch in Europa bekommen. Von daher ist es leichter geworden zu Industrialisieren. 

 

Nach dem Fall des eisernen Vorhangs haben sich nahezu alle westlichen Automobilunternehmen in den Billiglohnländern Osteuropas angesiedelt. Daimler hat lange gezögert, auf seine Produktionsstandorte in Europa gebaut und erst jetzt ein Werk zur Produktion der A- und B- Klasse in Ungarn eröffnet. Was war der Grund für das Zögern? Was hat sich aktuell geändert?
Hubbert: Zunächst spielt der Kostenfaktor gar nicht so sehr die entscheidende Rolle. Es geht in Zukunft darum, Menschen zu haben, die in der Lage sind, solche komplexen Produkte zu bauen. Bei qualifizierten Arbeitskräften also Ingenieure und Facharbeiter, stoßen wir in solchen Ländern manchmal an Grenzen. Kosten sind also das eine, qualifizierte Arbeitskräfte das andere. Und da hat offensichtlich die Entscheidung für Ungarn gesprochen, weil man bei Daimler der Meinung war, in Kecskemét die Belegschaft zu haben, die Mercedes Autos auch bauen kann.  


In Österreich gibt es traditionell viele Zulieferfirmen der Automobilindustrie. Wie schätzen Sie deren Zukunft ein und welchen Rat würden Sie ihnen geben?
Hubbert: Vor dem Hintergrund, dass die einfachen Komponenten nur sehr mühsam in Europa hergestellt werden können, verlagert sich ihre Produktion zwangsläufig in Richtung Asien. Die Textilindustrie hat es vorgemacht und jetzt kommen einfache Komponenten dazu. Nur derjenige hat eine Chance, der hoch komplexe Aggregate oder Systeme liefert. Insbesondere wenn es ihm gelingt, sich aus der Mechanik in Richtung Mechatronik zu entwickeln und seine Produktpalette mit Komponenten aus der Elektronik zu ergänzen. Entweder durch ei-genes Know-how oder durch Kooperationen. Deswegen glaube ich, dass erstens derjenige, der innovative Produkte anbietet und damit ein hoch angesehener Partner der OEM ist, die besten Chancen hat, zukünftig erfolgreich zu sein. Und zum zweiten gehe ich davon aus, dass wir auf dem Gebiet der Zulieferer - mehr noch als auf dem Gebiet der Hersteller - Ko-operationen und Zusammenschlüsse sehen werden.

 

Die Zahl der unabhängigen Zulieferer wird sich in den nächsten Jahren noch einmal drastisch reduzieren, weil neue Fähigkeiten beherrscht werden müssen. Sie können entweder gekauft oder über Kooperationen gewonnen werden. Doch dafür sind hohe Mittel notwendig, die besonders im Mittelstand oftmals nicht vorhanden sind und so ein gewisser Zwang entsteht, sich auf hoch interessante Komponenten zu konzentrieren. Zum Beispiel macht ein Fensterheber das Fenster nicht mehr nur auf und zu, sondern er kann auch automatisch schließen, wenn das Fahrzeug abgeschlossen wird. Weitere Zusatzkomponenten sind das weite Gebiete des Infotainments und der Information im Fahrzeug. Fahrzeuge, die eine gewisse Intelligenz entwickeln, die lernen, die sehen, die hören. Alles das sind Themen, die in der Zukunft eine Rolle spielen. Im Innenraum wird es wichtig sein, dass man sich auf die verändernde Alterstruktur der Menschen einlässt. Also auf Menschen, die nicht mehr so gut sehen können, die anders reagieren. Alles Themen, die Innovationen erfordern, zu denen die Zulieferer ihren Beitrag leisten können und müssen. Wer da mithalten kann, hat in den nächsten Jahren beste Chancen. 

 

Müssen sich die Zulieferer zukünftig noch mehr auf die weltweiten Produktionsstandorte der OEM einstellen?
Hubbert: Das wird weiter unverzichtbar bleiben. Als Mercedes nach Tuscaloosa mit seiner M-Klasse-Produktion ging, ist uns eine ganze Reihe von Zulieferer gefolgt und hat sich in unmittelbarer Nähe mit dem Ergebnis entwickelt, dass sie jetzt alle OEM beliefern, die Mercedes nachgefolgt sind. So wie zum Beispiel Volkswagen in Tennessee jetzt aus Süd-USA beliefert wird. Ähnliches passiert in Indien. Bosch ist auf dem Subkontinent fast so groß wie in Deutschland. Und auch in China gehen eine ganze Reihe von europäischen Firmen Kooperationen ein. Hier müssen sie nach chinesischem Recht Joint Ventures bilden, mit 50-Plus-Anteilen der chinesischen Partner. Der Trend setzt sich fort und es werden sich - wie auch um Graz - entsprechende Cluster bilden. 

 

Wie beurteilen Sie langfristig die Entwicklung der Mobilität? Werden wir in zehn Jahren noch die individuelle Mobilität des Jahres 2011 haben? 
Hubbert: Ich sehe im Moment keine Alternative. Würde sich das ändern, müsste der öffentliche Nahverkehr deutlich ausgebaut und die entsprechende Infrastruktur geschaffen werden, um andere Transport- und Fahrmöglichkeiten zu ermöglichen. Das alles würde riesige Investitionen erfordern - zusätzlich zum Ausbau der neuen Energien und all den damit verbundenen Fragen - die ich mir in einem überschaubaren Zeitraum nicht vorstellen kann. Insofern wird es sicherlich Einschränkungen geben, in Stadtbereichen und Ballungszentren wo - ähnlich wie in London -Maut bezahlen muss oder man kommt nicht in die Innenstadt. Ein Thema, das auch bei der Elektrifizierung eine Rolle spielen wird. Aber ich sehe keine Chance individuelle Mobilität einzuschränken. Nicht zuletzt weil wir die Menschen dazu aufgefordert haben, Arbeit und Wohnen deutlich zu trennen. Was ich aber sehe sind andere Nutzungskonzepte, wie intelligente car-sharing Modelle oder etwa „car-to-go“- Modelle, bei denen man nicht mehr unbedingt ein Auto besitzt, sondern lediglich eines für den Pendelverkehr nutzt. Da wird sich einiges entwickeln, auf das sich die Automobilindustrie einstellen muss. 

 

Seit Jahren wird gegen die SUV in den Medien gewettert – und trotzdem werden sie mit großer Begeisterung gekauft. Jeder zweite neuzugelassene Porsche ist derzeit ein Cayenne. Mercedes hat mit großem Erfolg seine neue M-Klasse vorgestellt. Wie erklären Sie sich die große Differenz zwischen Medienmeinung und Kundenverhalten? 
Hubbert: Die Diskrepanz zwischen der öffentlichen Meinung und der veröffentlichen Meinung besteht schon lange. Dabei passt das sicherlich dem einen oder anderen ins Konzept, solche Berichte zu schreiben. Richtig ist, dass die Menschen nach wie vor Freude am Fahren haben. Das Thema SUV hat was mit verändertem Kundenverhalten zu tun: man möchte individueller sein und vor allem, Frauen entscheiden mit. Sie wünschen sich eine hohe Sitzposition, überlegenes Fahrgefühl und eine bessere Sicht. Männer sitzen dabei lieber mit dem Hintern auf dem Boden und zwar im Sportwagen. Auch das psychologische Moment spielt eine wichtige Rolle. Eine Gesellschaft die insgesamt durch Krisen, etc. ver-unsichert ist, führt zu einem gewissen Kokooning, also dem Streben nach mehr Schutz, auch Querfeldein fahren zu können.  Also zum Teil ganz irrationale Gründe.

 

Besonders den deutschen Automobilherstellern wird vorgeworfen, die Fahrzeugentwicklung (Antriebsarten, etc.) und damit den Markt in den letzten fünf Jahren verschlafen zu haben. Was sagen Sie zu diesem Vorwurf?
Hubbert: Wir haben sicherlich an ein paar Stellen die öffentliche Meinung zum Thema „Hyb-rid“ unterschätzt und auch die Tatsache, dass man mit dem Thema „Umwelt“ sehr gut Mar-keting betreiben kann. In Amerika kam dann noch dazu, dass sich die ganzen Celebrities einen Honda Prius gekauft haben, da es einfach chic war, in einem solchen Fahrzeug foto-grafiert zu werden. Das haben wir unterschätzt, weil wir rein rational gesagt haben, wir kön-nen rechnen wie wir wollen, der gute Diesel ist immer die bessere Alternative. Und das stimmt. Er ist sogar die bessere Alternative in der Gesamtemission. Ein e-smart emittiert „well-to-wheel“ aufgrund der Stromerzeugung 85 Gramm CO2. Und wenn jetzt die Kernkraftwerke in Deutschland abgeschaltet werden, dann sind das sogar 117 Gramm. Alles das spricht für den hoch technischen Dieselmotor. Aber Technik ist das eine und die öffentliche Meinung das andere. Da haben wir also nicht gut reagiert und jetzt überreagieren wir ein bisschen. 

 

Meine Sorge ist, dass wir in wenigen Wochen auf der IAA wieder eine tolle Show machen, mit allem was technisch möglich ist, ohne deutlich genug zu sagen, wann man das zu welchem Preis kaufen kann. So dass also auch da der Eindruck entstehen könnte, das gibt es doch alles. Dann wartet der Kunde noch ein bisschen und will das alles morgen kaufen. Wir müssen also besser informieren und sagen, die Techniken kommen, sie werden entwickelt und sich auch langfristig durchsetzen - aber nicht morgen. Und bis dahin musst du einen effizienten Dieselmotor fahren oder einen Hybrid-Antrieb. Hybridisierung findet jetzt so statt, dass zum Beispiel Daimler in jeder Baureihe einen Hybrid anbietet. Auch ist Daimler der erste Hersteller, der mit der A-Klasse E-Cell eine Kleinserienproduktion von Elektrofahrzeugen aufgelegt hat und in 2012 die B-Klasse mit Brennstoffzellen-Antrieb anbietet. So furchtbar können wir also nicht geschlafen haben. Doch vielleicht haben wir nicht gut genug über das geredet, was wir machen. 


Welche Zukunft hat nach Ihrer Meinung der Verbrennungsmotor?
Hubbert: Ich bin nicht glücklich über den Hype zum Thema E-Mobilität. Es ist keine Frage: E-Mobilität wird kommen, aber der Zeitrahmen, indem sich die Diskussion öffentlich bewegt ist für mich Illusion. Selbst wenn die deutsche Bundeskanzlerin mit ihrer Million E-Autos in 2020 Recht behält, selbst wenn wir - wie manche Prognosen sagen - im Jahre 2030 zehn Prozent emissionsfreie Fahrzeuge haben werden, dann werden immer noch neun von zehn Autos von konventionellen Motoren angetrieben, d.h. von Benzin- und Dieselmotoren. Und daher – provokant formuliert – wir werden uns noch in den nächsten fünfzig Jahren mit dem Thema Verbrennungsmotor beschäftigen und die Potenziale, die sich hier ergeben, ausschöpfen müssen. 

 

Hohe Verbesserungsmöglichkeiten bestehen auf der technischen Seite bei der Verbrennung, den Drücken und dem Gewicht. Der entscheidende Vorteil kommt beim „down-seizing“. Das heißt, es wird Ein-Liter/Drei-Zylinder Motoren geben, die bis zu 250 PS haben und ein ent-sprechendes Drehmoment. Das was Mercedes in der S-Klasse jetzt zeigt, einen Vierzylinder 5-Liter Motor, den man gut mit Spaß fahren kann, das ist der Weg zu niederen Verbräuchen. Das heißt, die Aggregate werden sich in Bezug auf Leistung und Ausbringung hin verbessern und auch in Hinblick auf Emissionen und uns noch die nächsten Jahrzehnte begleiten. Das ist so sicher wie das Amen in der Kirche. Doch das macht es in sofern kompliziert, weil alle Hersteller Benzin- und Dieselmotoren, Gasantriebe, alternative Kraftstoffe, Hybridisierung, plus Elektro mit Speicherbatterie und Brennstoffzelle parallel entwickeln müssen. Dazu brauchen sie technische Kapazitäten, wie auch finanzielle Mittel, von denen ich glaube, sie nicht jeder zur Verfügung haben wird. Heute kann also noch keiner den Königsweg nennen.  


Die Mercedes-Forscher haben sich in ihrer langen Geschichte immer mit alternativen Antriebsarten beschäftigt, doch im Prinzip in den letzten 25 Jahren die Brennstoffzelle – auch zeitweise gegen den Mainstream - als Antriebsquelle favorisiert. Trifft das heute noch zu und wenn ja, was ist der Grund für diese Philosophie?
Hubbert: Die Brennstoffzelle ist wie ein normales Auto. Ich tanke und fahre los. Das Problem ist allerdings, habe ich Wasserstoff? – im Moment nein. Habe ich eine Infrastruktur? – im Moment nein. Vor einigen Tagen habe ich mit Herrn Wolfgang Reizle, dem Vorstandsvorsitzenden der Linde AG gesprochen. Wir sind zur Überzeugung gekommen, dass eine Wasserstoff-Infrastruktur allein für Deutschland 1,5 – 2 Milliarden Euro kosten würde. Stellt man die fünf Milliarden Euro Abwrackprämie in den Vergleich, ist das eine Größenordnung, die keinen erschrecken sollte. Auf der anderen Seite brauche ich natürlich die Energie, um aus Erdgas oder aus Wasser Wasserstoff zu gewinnen. 

 

Dann ist da eine ganz grundsätzliche Frage zu klären, die derzeit leider populistisch diskutiert wird: Wo kommt denn unsere Energie in Zukunft her. Ich habe in den letzten Tagen sehr provokant gesagt, ich wünsche mir für den Winter einen Gau. Einfach um die Diskussion zu versachlichen. Wir schalten Kernkraftwerke ab, ohne zu wissen, mit was wir sie ersetzen. Wir treffen keine konditionierten Entscheidungen. Wenn wir gemeinsam keine Atomkraftwer-ke mehr wünschen, dann müssen wir zulassen, dass zukünftig ein Hochspannungsleitungs-netz von der Nord/Ostsee-Küste in den Süden gebaut wird. Also keiner weiß, wie das gehen soll und deswegen werden wir zukünftig unseren Strom auch aus relativ unsicheren Kraft-werken in Tschechien oder aus Frankreich beziehen. Doch das scheint keinen zu kratzen. 


Alles das sind Themen, wo ich bedauere, dass keine ernsthafte Sachdiskussion geführt wird, sondern rein emotional populistische Entscheidungen getroffen werden. Vor diesem Hinter-grund glaube ich, dass die Brennstoffzelle eine große Zukunft hat, weil sie den Betrieb des Autos so einfach macht, wie er heute ist. Voraussetzung ist Wasserstoff und eine entspre-chende Infrastruktur. Ich gehe also zum Tanken und fahre mit einer Reichweite von 500 bis 800 Kilometer los. Alles ist wie gehabt, der Mensch muss nicht umlernen. 

 

Anders bei der Batterietechnik. Hier brauche ich viele Jahre, um die Technik weiter zu entwi-ckeln. Die Batterie wird aber auch dann noch sehr teuer sein, da wir unter dem Aspekt der Ladung und weiterer Themen noch einige interessante Aufgaben zu lösen haben. So war ich zum Beispiel überrascht, als vor zwei Jahren zum ersten Mal KERS in der Formel 1 einge-führt wurde und plötzlich der eine oder andere Mechaniker bewusstlos am Boden lag, weil er aus Versehen mal an die Hochspannung hingelangt hat. Man war sich nicht bewusst, dass das eben etwas anderes und neues ist. Wir hatten nur deswegen keine Verluste zu beklagen, weil die jungen Männer alle Turnschuhe mit den Gummisohlen anhatten. 

 

Es gibt also viele Fragen. Auch der Tausch der Batterien wird nicht einfach sein, da jede Bat-terie anders sein wird. Die Ingenieure nützen das schwere Gewicht der Batterie als konstruk-tives Bauteil, d.h. sie wird ein tragendes Element sein, das man nicht nur einfach ein/ausbauen kann. Also all das sind Themen, die so komplex sind, dass ich bedauere, dass sie so oberflächlich diskutiert werden. Die Frage ist, wann setzen sich die Verantwortlich nun wirklich an den Tisch und reden ernsthaft über diese Themen.

 

Alle reden vom Elektroantrieb. Nahezu alle westlichen Regierungen stellen riesige nationale Förderbudgets zur Verfügung. Auch die EU hat Millionen zur Elektroförderung bereitgestellt, obgleich alle physikalischen Gesetze gegen den Elektroantrieb sprechen. Warum also diese Entwicklung und glauben auch Sie, dass dem Elektromotor die Zukunft gehört?
Hubbert: Ich erwähnte es bereits: Die öffentliche Diskussion ist eine populistische. Man möchte natürlich ganz schnell bestimmte Ziele erreichen und vernachlässigt in der Diskussion den Stand der Technik in der Batterie. Wissenschaftler, die wirklich etwas von diesem Geschäft verstehen sagen, dass es in den letzten 10 – 15 Jahren gelungen ist, die Ladungsdichte in der Batterie von 0,5 bis ein Prozent zu erhöhen. Um die Leistung einer Batterie für 300 bis 400 Kilometer zu erreichen, brauchen wir Batterien mit einer zwanzigfachen Ladungsdichte. Da erreichen wir physikalisch/chemische Grenzen, die nicht leicht zu überwinden sind. Es geht nicht darum, dass wir nicht wollen, sondern es ist echte Grundsatzarbeit zu leisten, bezüglich Materialien und all den damit verbundenen Aspekten. Dann ist immer noch nicht die Frage geklärt, wo kommt die Energie her. Das Thema Aufladung? Jeder sagt an die Steckdose, klar. An der 220 Volt Steckdose dauert das fünf bis sechs Stunden, um die Batterie zu laden. Bei 380 Volt, die keiner im Moment hat, immer noch die Hälfte der Zeit. Aber alles das sind Fragen, die leider viel zu populistisch und nicht sachlich diskutiert werden.  

 

Wie beurteilen Sie grundsätzlich die alternativen Antriebsarten? Gas, Wasser-stoff, Hybrid, etc.?
Hubbert: Gas ja, stärker als heute, Wasserstoff ja, aber Hybrid wird eindeutig die Zwischen-lösung sein. Der Plug-in-Hybrid (Verbrennungsmotor/Elektromotor) als weitere Zwischenlösung bis hin zum Brennstoffzellenantrieb. Gute Chancen hat auch der sogenannte Range-Extender. Also für bestimmte Bereiche das Elektrofahrzeug, das einen kleinen, sehr effizienten Dieselmotor hat. Damit kann in der Innenstadt völlig emissionsfrei gefahren werden. Über weitere Strecken kommt der Dieselmotor zum Einsatz, der gleichzeitig die Batterie läd. Dieses Nebeneinander wird über lange Zeit gehen.

 

Vielleicht auch zur Klärung meiner Sicht der Dinge: Die Ressourcen sind endlich. Und lange bevor wir nicht mehr Öl oder Gas fördern, wird ein Kampf über deren Nutzung einsetzen. Denn wir brauchen sie für Ernährung, für Kleidung, für Medikamente. Wir brauchen das Öl für alles Mögliche besser, als es zu verbrennen. Und deswegen werden die Preise steigen, dann sind dagegen die 140 € pro Barrel, die wir einmal vor zwei Jahren hatten, ein Klax. Und meine Sorge ist, dass wenn der Liter Sprit einmal mehr als 2,50 € kostet, sich viele Menschen individuelle Mobilität nicht mehr leisten können. Damit wird es auch sozial-politisch schwierig. Wir brauchen also nicht nur aus ökologischen, sondern auch aus ökonomischen Gründen dringend Alternativen. 

 

Herr Prof. Hubbert, Sie gelten als ausgewiesener Motorsportexperte. Wie beurteilen Sie das Auf und Ab im Reglement der Formel 1?
Hubbert: Ich verstehe, dass die Organisatoren alles versuchen, dass nicht bereits nach der Hälfte der Rennen der Weltmeister feststeht. Und deswegen wird im Moment noch ein bisschen gefummelt. Ob man das allerdings noch verhindern kann, weil einer die Regeln besser auslegt als alle anderen und damit ein völlig überlegenes Auto hat, wage ich zu bezweifeln. Ich verstehe also das Vorgehen. Ob das, was man jetzt gemacht hat, mit zusätzlichen Überholtricks und ähnlichen Themen hilfreich ist, lass ich einmal dahingestellt. Tatsache ist, es gibt weniger Prozessionen und mehr Überholmanöver. Die Rennen sind wieder etwas spannender geworden und insofern könnte man sagen, das Ziel ist erreicht. Aber mir tun die armen Kerle leid, die im Auto sitzen. Denn man muss sich einmal vorstellen, was ein solcher Fahrer bei 300 km/h alles organisieren muss. Er muss nicht nur das Lenkrad festhalten, Gas geben und auf die Bremse treten, sondern vor einer Kurve mindestens zehn Knöpfe bedienen, um Brems- und Flügeleinstellungen zu verändern. Eben alles das, was mit dem Fahren zusammenhängt. Und die jungen Männer sind wirklich zu bewundern, dass sie das hinbekommen und nicht irgendwann auf den falschen Knopf drücken und in der Wand landen. Letztendlich ist diese Entwicklung aus meiner Sicht für den Sport nicht hilfreich. 

 

Mercedes wurde immer vorgeworfen keine deutsche Formel 1-Fahrer einzusetzen. Jetzt fährt der Deutsche Michael Schumacher, der größte Champion aller Zeiten, der Konkurrenz im Mercedes hinterher. Selbst die Mercedes-Kunden von den Werksteams fahren ihm regelmäßig um die Ohren. Was ist da los?
Hubbert: Wir haben sicher die besten Fahrer, wir haben die besten Motoren, was die Höchstgeschwindigkeit anbetrifft. Und das zeigt, dass wir auch bezüglich der Aerodynamik nicht so schlecht sind. Das Auto hat aber ein Problem mit dem mechanischen Grip, an dem alle mit Hochdruck arbeiten. Fakt ist, wir kommen langsamer aus der Kurve und das Beschleunigen ist nicht so gut wie bei anderen. Es scheint aber nicht mit einer Maßnahme lösbar zu sein, sondern mit zahlreichen. Ob das in dieser Saison überhaupt noch zu lösen ist, da habe ich meine Zweifel. Aber man muss auch eines sehen. 1994 sind wir in die Formel 1 eingestiegen, damals zusammen mit McLaren. Die erste WM haben wir 1998 gewonnen. Also erst nach einer gewissen Zeit. Wir sind jetzt im zweiten Jahr. Es könnte besser sein, ja es sollte besser sein. Die Erwartung war eine andere – auch vom Vorstand. Aber im Moment besteht kein Grund zum Verzweifeln und das Unternehmen steht nach wie vor hinter dem Team. 


Derzeit ist die DTM so erfolgreich wie selten zuvor. Nächstes Jahr wird neben Mercedes und Audi sogar noch BMW nach jahrelanger Abstinenz wieder an den Start gehen. Was ist das Geheimnis ihrer Popularität?
Hubbert: Die DTM ist eine offene Rennserie für die Menschen. Formel 1 ist steril. Bernie hätte am liebsten überhaupt keine Menschen an der Rennstrecke und alles am Fernsehen. Hier sind die Menschen nah am Auto, nah an den Fahrern. Sie sehen und erleben was tatsächlich geschieht. Die Autos sehen fast so aus, als seien sie ihre eigenen. Dann hat man eine sehr gute Atmosphäre geschaffen und treibt wirklich guten Sport. Das sieht man auch daran, wie schwer sich Formel 1-Fahrer tun, in dieser Serie Fuß zu fassen. Es ist Motorsport für die Menschen. Sie identifizieren sich mit ihren Marken, tragen ihre Mützen, wedeln mit ihren Fähnchen. Die DTM steht in ihrer Popularität eindeutig als zweite Rennserie hinter der Formel 1. Und deswegen kann auch BMW nicht beiseite stehen. Nächstes Jahr werden wir eine noch faszinierendere Rennserie haben.

 

In der DTM fährt Mercedes äußerst erfolgreich um Sieg und Titel. Was kann Mercedes im DTM-Motorsport, was es in der Formel 1 nicht kann?
Hubbert:Schwer zu beurteilen. Frühen hätten wir behaupten können, wir haben nicht das Sagen im Team. Doch jetzt haben wir das Sagen im Brawn-Team. So müssen wir hier sicherlich noch die Weichen stellen. Doch wir haben bei HWA absolute Spezialisten auf dem Gebiet des DTM-Rennsports, die sich von morgens bis abends nur mit diesen Autos be-schäftigen und denen immer noch etwas Kreatives einfällt. Eine solche Truppe bauen wir gerade in der Formel 1 auf,  wo wir sie noch nicht haben, um genau so gut zu werden. Das DTM-Fahrzeug ist darüber hinaus im Laufe der Jahre immer wieder weiterentwickelt worden - ohne große Brüche. 

 

Wird Michael Schumacher noch einmal in einem Werks-Mercedes Weltmeister?
Hubbert: An ihm wird es nicht liegen. Er ist fit und engagiert genug und befindet sich in der entsprechenden Verfassung. Das ist überhaupt keine Frage. Wir müssen ihm nur das Auto bauen, mit dem er gewinnen kann. Er braucht ein Auto, das übersteuert. Er ist ein Fahrer mit großer Empathie und Gefühl, d.h. das Auto muss sich bewegen, damit er weiß, wie weit er gehen kann. Und die Mercedes-Autos der letzten beiden Jahre neigten eher zum Untersteuern. Er muss es in die Kurven hineinzwingen, ruiniert damit die Reifen und ist dann im zweiten Teil seines Stints nicht mehr so schnell. Da muss bei ihm vieles zusammenpassen, was damals bei Ferrari offensichtlich gut funktioniert hat. Es waren aber die gleichen Leute, die wir heute wieder zusammen haben. 


Herr Professor Hubbert, Sie gelten als ein Automobilmanager mit großem Herzblut. Wenn Sie sich etwas für das Automobil und für die Automobilindustrie und deren Entwicklung wünschen könnten, was wäre Ihr größter Wunsch?
Hubbert: Wir feiern in diesem Jahr 125 Jahre Auto. Natürlich wünsche ich mir, dass es noch einmal 125 Jahre – mindestens – werden. Und dass die Autoindustrie die unglaublichen Herausforderungen, die sie von den Märkten, von den Kunden und von der Technik her hat, sachorientiert abarbeiten kann, ohne dass sie von kritischen und technisch schwerwiegen-den Rahmenbedingungen behindert wird. Wir haben diese Zeit gehabt. In den 80er und 90er Jahren, auch mit Kriegen und haben das damalige up und down erlebt. Aber die Summe der Herausforderungen war nicht so groß und insofern wünsche ich mir sehr viel Verständnis für die Kollegen, die heute in der Verantwortung stehen, damit sie ihren Job machen können. Sie arbeiten mit dem gleichen Herzblut wie wir damals und werden auch die gleich guten oder sogar bessere Autos bauen.

 
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