Quo vadis Europäisches Forum Alpbach

Zum Europäischen Forum 2012 hat sich der österreichische Journalist, Medienberater und Politikanalyst Peter Plaikner in seiner Kolumne in der Tiroler Tageszeitung aus politischer Sicht geäußert. Eine Sichtweise, die von Robert A. Thiem, der das Europäische Forum seit zehn Jahren begleitet, geteilt und kritisch ergänzt wird. Nicht um das Forum schlecht zu reden, sondern aus Sorge um das Niveau dieser wunderbaren Veranstaltung.
 


Peter Plaikner: Alpbach und Wirklichkeit


Alpbach ist populärer denn je. Dabei beklagen Nostalgiker den Verlust der elitär-intellektuellen Denker-Sommerfrische und begrüßen Neuerer den Gewinn eines hochqualitativen Netzwerk-Urlaubs. Die Wahrheit liegt dazwischen: Die Klasse ist auf politischer wie wissenschaftlicher Seite vom EU-Kommissionspräsidenten bis zu Nobelpreisträgern gesichert, die Masse schon durch 682 Vortragende in zweieinhalb Wochen gegeben. 


Das Europäische Forum ist unter Erhard Busek auferstanden und gewinnt mit Franz Fischler an Größe. Trotz der Unabhängigkeit, für die schon diese Quälgeister ihrer ÖVP stehen, gilt es als Denkwerkstatt im schwarzen Dunstkreis. So etwas nützt einer Gesinnungsgemeinschaft auf der Suche nach dem künftigen Gemeinsinn: Zeit für langfristige gesellschaftliche Überlegungen, Raum für Strategie statt Taktik, Platz für Austausch statt Angriff. 


Doch Alpbach ist der Anspruch und die ÖVP die Wirklichkeit. Das Auseinanderklaffen ihrer Theorie und Praxis wirkt deutlicher denn je. Statt einer Antwort zur Inhaltszukunft gibt es die Frage nach dem Spitzenpersonal: Das Europäische Forum steht für den Start einer Obmanndebatte. Solche Diskussionen plagen mitunter auch andere Parteien. Doch wenn diese ihren Anspruch weniger hochtrabend vor sich hertragen, schadet ihnen das weniger. Alpbach ist gut für die ÖVP, wenn sie es als das nutzt, wofür es gedacht ist: eine Pause zum Grübeln. Verkannt als Network-Event zeigt der Denkertreff gnadenlos auf, wo zu wenig nachgedacht wird.

Robert A. Thiem: Quo vadis Alpbach


Plaikner hat mit seinen Einlassungen zum Europäischen Forum in weiten Teilen leider sehr Recht. Nur ist das nicht die ganze, insgesamt bedauerliche Wahrheit, die sich in Alpbach abspielt. Denn nur zu gut spiegelt sich in Alpbach die Tiroler, wenn nicht sogar die Österreichische Seele wider. Gibt es doch seit Jahrzehnten mit Alpbach eine Institution, die im deutschsprachigen Raum ihresgleichen sucht und auf die in Tirol alle zu Recht stolz sein können. 


Fragt man allerdings nach ihrer qualitativen (Weiter-)entwicklung, darf man sich nicht von Nobelpreisträgern und präsidialen Halbschwestern blenden lassen. Sie repräsentieren nicht zwangsläufig die Qualität, die ihnen in den Medien eingeräumt wird. Blenden lassen von einem völlig überschätzten neo-präsidialen EU-Kommissar, der nie aus seiner Agrardenke herausgekommen ist. Bester Beweis: Er hat die Gesundheitsgespräche, die natürlicherweise weitestgehend von der Pharmaindustrie unterstützt werden, stiefmütterlich vor den Eröffnungstermin setzen lassen und sie damit ins Abseits gestellt. Ob nun für ihn die Gentechnologie und damit die Pharmaindustrie Teufelszeug ist oder nicht, an die Toleranz und europäische Weitsicht eines Buseks kann und wird er nie heran kommen. Auch Buseks intellektuelles Niveau wird für ihn immer unerreichbar bleiben. Da nützen alle seine Antrittsfloskeln nichts, als er versicherte: „... wir wollen das Europäische Forum Alpbach als einzigartige Plattform für offenen gesellschaftspolitischen Dialog weiterentwickeln ..." und er ist der Erste, der sich nicht daran hält. 


So erfreulich der Umstand, dass das durchschnittliche Alter der Teilnehmer sichtbar um einige Jahrzehnte abgenommen hat, so bedauerlich ist die Tatsache, dass sich damit Alpbach zu einer Einbahnstraßen-Veranstaltung entwickelt hat. Jetzt gibt es die Gruppe der Vortragenden und die der Lauscher. Wurde früher noch viel über die Leitthemen auf den Korridoren in den Pausen diskutiert, haben heute die Zuhörer nicht mehr das Profil, da zu jung und unerfahren oder sind eher nur anwesend, um sich zu zeigen und wichtig zu nehmen. Und damit kann die Klasse auf Dauer keineswegs gesichert werden.


Die Wahrheit ist, dass auch in Alpbach die Wirklichkeit schon lange Einzug gehalten hat. Eine Wirklichkeit, der oberflächlichen schnellen Medienwelt. Eine Wirklichkeit, in der Strategie, künftiger Gemeinsinn und langfristige gesellschaftliche Überlegungen keinen Platz haben, da die langfristigste aller Überlegungen maximal auf vier bis fünf Jahre ausgelegt ist. Darum geht es. Spindelegger kam nicht als Österreichischer Außenminister nach Alpbach, sondern hat viel eher über Bildung und Integration gesprochen, was er aber eigentlich immer macht, wenn er unterwegs ist …. Aber das ist ein anderes Thema.


 
Hintergrund:


Das „Europäische Forum Alpbach“findet alljährlich im Tiroler Bergdorf Alpbach statt und wurde 1945 unter der Bezeichnung „Internationale Hochschulwochen“ des Österreichischen College gegründet. Internationale Referenten aus Wissenschaft, Wirtschaft und Politik kommen immer im August zusammen, um aktuelle Fragen der Zeit zu diskutieren und interdisziplinäre Lösungsansätze zu finden. 


Das Europäische Forum Alpbach hat einen nicht unwesentlichen Beitrag zum geistigen Leben Nachkriegseuropas geleistet. Insbesondere die Vermittlung zwischen Wissenschaft und Praxis war ein von Anbeginn wichtiges Ziel. Mit dazu beigetragen haben so bekannte Persönlichkeiten, wie Theodor W. Adorno, Ralf Dahrendorf, Jacques Delors, Friedrich Dürrenmatt, Indira Gandhi, Helmut Kohl, Konrad Lorenz oder oder Yitzak Rabin.