Automobil Forum 2015: Wachstum und Qualität global managen

„Wachstum und Qualität global managen“ – zwei Tage diskutierten Vertreter der Automobilindustrie auf dem Automobil-Forum 2015 in München über automobile Zukunftsaussichten, aber auch wie neue Technologien der Digitalisierung die Branche verändern. Die Auftakt-Keynote „wie machen wir unsere Industrie flexibler und zukunftsfähig“  hielt BMW Group Produktionsvorstand Oliver Zipse, die im Folgenden zusammengefasst wiedergegeben ist.

 

Das Automobil muss heute sehr viel leisten. Es muss emissionsarm sein, nachhaltig, es muss sich in seiner Umgebung immer mehr vernetzen, es muss global verfügbar sein und für alle erschwinglich. Die automobile Wertschöpfung muss sich immer komplexeren Anforderungen stellen. Ich möchte daher in drei Punkten auf die Aussichten unserer Branche eingehen:

 

•    Die Automobilindustrie ist eine Wachstumsindustrie
•    Das Automobil ist Integrationsobjekt im Spannungsfeld von Komplexität und Kosten
•    Die Produktion der Zukunft ermöglicht Innovationskraft im Minutentakt.

 

Die Automobilindustrie ist eine Wachstumsindustrie
Die Automobilindustrie kann vor allen Dingen aus deutscher Sicht auf eine sehr erfolgreiche Vergangenheit zurückblicken. Aber als Unternehmer interessieren uns natürlich die Zukunftsaussichten. Und um es gleich vorweg zu nehmen: ich bin überzeugt, dass die Automobilindustrie noch immer große Wachstumspotenziale besitzt. Allerdings unter anderen Rahmenbedingungen wie bisher. Dabei möchte ich zunächst den Blick auf den weltweiten Automobilmarkt von 2005 – 2020 legen: 

 

2005 wurden weltweit rund 62 Millionen Autos verkauft. Und trotz der gewaltigen Wirtschafts- und Finanzkrise waren es 2010 noch 51 Millionen. Dieses Volumen wird in diesem Jahr weiter wachsen, auf einen neuen Rekordwert von 86 Millionen Einheiten. Und in 2020 erwarten wir fast 100 Millionen Fahrzeuge. Der Gesamt-Markt wächst also kontinuierlich und damit werden unsere bisherigen Annahmen bestätigt. Besonders das Premiumsegment, in dem wir deutschen Hersteller besonderes vertreten sind, entwickelt sich weiterhin kontinuierlich. Dessen Anteil von knapp 7 Prozent in 2005 wird weiter auf über 9 Prozent im Jahre 2020 anwachsen. Dieses auf der Welt lineare Wachstum gilt aber nicht für Europa, sondern  nur begrenzt für Amerika, aber sicher für China und den Rest der Welt. Die BRIC Staaten und viele Schwellenländer machen dabei den Unterschied. Politische und wirtschaftliche Krisen führen  regional zu ausgeprägten Maßnahmen. Aktuelles Beispiel ist Brasilien, wo der Automobilabsatz regelrecht einbrach. Der Markt mit der besten Entwicklung ist wenig überraschend China. Das heißt mehr als ¼ des weltweiten Absatzes von Fahrzeugen wird hier generiert und sein Anteil wird voraussichtlich noch weiter ansteigen, auch wenn sich hier die wirtschaftliche Dynamik zunehmend normalisiert. Insgesamt sei aber gesagt, die Automobilbranche ist eine Wachstumsindustrie, deren Potenzial noch lange nicht ausgeschöpft ist. Dabei unterstelle ich allerdings, dass es nicht mehr so eindeutig ist, unter welchen Umständen dieses Wachstum erzielt werden wird.

 

Dazu ein Beispiel aus dem Markt China: 1994 wurde in Shanghai zum ersten Mal ein Fahrverbot verhängt, und die Menschen hatten mehrere Monate Zeit, sich auf diese Situation einzustellen. Im Dezember letzten Jahres hatte sie in Shenzhen nur 20 Minuten Zeit, auf das Fahrverbot zu reagieren. D.h., derartige Regulierungen im Individualverkehr können sich völlig unabhängig von den eigentlichen Beweggründen auf die langfristige Entwicklung des Automobilgeschäfts auswirken.

 

Dabei ist China ein Markt, bei dem Joint-Venture-Verbindungen beim Aufbau einer Produktion gefördert werden. Lokalisierung ist daher zunehmen entscheidend, für den langfristigen Markterfolg. Und China ist kein Einzelfall: Zu Beginn des Jahrtausends gab die DUMA noch Anlass zu Optimismus, dass die Weltbank stärker bei Entscheidungen eingebunden sein wird. Heute erleben wir genau das Gegenteil. Im Nachgang der globalen Wirtschafts- und Finanzkrise haben viele Länder zu industrie-politischen und protektionistischen Maßnahmen gegriffen. Zwischen Oktober 2008 und Juli 2014 hat die Europäische Kommission weltweit und branchenübergreifend 858 Maßnahmen erlassen. Allein im letzten Berichtsjahr bis Juli 2014 waren es weltweit 170 neue Handelsbestimmungen. Das betrifft natürlich auch die Automobilindustrie. Dabei geht es um Zollerfüllung in Indien, steuerpolitische Maßnahmen in der Türkei und Russland, Antidumping-Untersuchungen in China, oder auch um nicht-tarifäre Handelshemmnisse wie lokale Zertifizierungsanforderungen in Korea, Japan oder Indonesien. Der Mut oder besser das Diktat, nach lokaler Fertigung und damit Beschäftigung ist da, und unsere Industrie schafft Wertschöpfung und damit Wohlstand. Auf der anderen Seite ist eine zentrale Belieferung aus Deutschland gar nicht mehr vorstellbar. Für die Produktion heißt das, Lokalisierung, wo es sinnvoll möglich ist und Konzentration auf Regionen, die einen Zugang zu den wichtigen Märkten schaffen. Vor diesem Hintergrund ist auch die Entscheidung für den Bau eines BMW-Werkes in Mexiko mit seiner Fertigstellung im Jahr 2019 zu sehen. 

 

Zusammengefasst können wir sagen, Lokalisierung und Globalisierung gehen Hand in Hand. Der Aufbau eines global vernetzten und flexiblen Produktionsnetzwerkes ist die Voraussetzung für weiteres Wachstum. 

 

Das Automobil ist Integrationsobjekt im Spannungsfeld von Komplexität und Kosten
Kosten sind in der heutigen Zeit ein dominanter Faktor. Sind Sie nicht auch der Ansicht, dass durch die Digitalisierung die Schnittstelle zwischen Fahrzeug und Kunden neu definiert werden muss? Wie vernetzen sich die Produkte der großen Fahrzeughersteller schon heute? Fest steht, dass wenige Produkte so optimiert und ausgereift sind, wie das Auto. Daher ist jede substanzielle Veränderung ein Kraftakt. Die Fahrzeuggestaltung und Produktion werden bestimmt von eng formulierten Zulassungsbestimmungen, von festgelegten Grenzen mit vorgegebenen Bestimmungen und technischer Vorgaben sicherheitstechnischer Anforderungen.  Eine Flut an Normen bekleidet die gesamte Wertschöpfungskette unabhängig von seiner Antriebs- oder Vernetzungsart. Der wichtigste Einflussfaktor ist aber der Kunde. Er bestimmt mit seinem Kaufverhalten den Erfolg oder Misserfolg eines Fahrzeugkonzepts. Nehmen sie als Beispiel die hohe Nachfrage an SUV und Allrad getriebenen Fahrzeugen und den Wunsch nach verbrauchsarmen Konzepten oder den Boom von Mobilitätsangeboten, wie Carsharing oder die Integration von digitalen Dienstleistungen. Eine Innovation, die sich in unserer Industrie als Maßstab durchsetzt kann getrost als nachhaltig und ausgereift bezeichnet werden. Kurz gesagt, das Automobil ist ein Aggregator von Innovationen. Frei nach Frank Sinatra: if you make it there you will make it anywhere.

 

Das Fahrzeug war einmal nur ein reines Transportmittel, heute ist das Auto ein Technologieträger. Es steckt voller aktiver und passiver Sicherheitssysteme, es ist hoch effizient und verbrauchsoptimiert, und bildet in großem Umfang die aktuellen Möglichkeiten der Digitalisierung ab. Insgesamt sind wir in der Branche aber deutlich weiter, als es zum Beispiel der Gesetzgeber verlangt. Und trotzdem: nicht alles was technisch möglich ist, ist vor dem Hintergrund von Betriebswirtschaftlichkeit und Zuverlässigkeit unter Großserienbedingungen  sinnvoll. Allerdings hat die Automobilindustrie immer wieder bewiesen, dass sie auch sehr komplexe Informationen in ein Fahrzeug integrieren kann. Nehmen Sie den neuen BMW 7er, der im Oktober auf den Markt kommt, stellt exzellent symbolisch für aktuelle Technologiemöglichkeiten.  Er verfügt über intelligente Fisch-Bauweise, über einen Carbonkern, und ist dadurch gut und gern 130 Kilogramm leichter als sein Vorgänger. Und macht das Fahrzeug auch gleichzeitig sicherer. Ein umfassendes Infotainment-System kann per Steuerung bedient werden, und bietet auch die Möglichkeit, den neuen Siebener ferngesteuert einzuparken. 

 

Für die Produktion heißt das wiederum, dass diese Funktionen integriert werden müssen. Ein überproportionaler Anstieg der Komplexität muss bei schwierigen äußeren Rahmenbedingungen zu relativ sinnvollen Kosten bewältigt werden. Nur dadurch sichern wir langfristig unsere Wettbewerbsfähigkeit. Dabei gibt es einige wichtige Stellhebel:

 

•    Die Prinzipien der kontinuierlichen Verbesserung nach japanischen Prinzipien in den letzten Jahrzehnten bereits umgesetzt
•    Eine menschengerechte Ausqualifizierung
•    Prozessexzellenz durch stabile Prozesse 

 

Während die Digitalisierung für eine deutlich höhere Komplexität am Produkt sorgt, schafft Digitalisierung in der Produktion dass Komplexität noch effizienter gestaltet werden kann. 

 

Die Produktion der Zukunft ermöglicht Innovationskraft im Minutentakt.
Die Bundesregierung hat die Industrie 4.0 auf die digitale Agenda gesetzt – in den USA ist der Begriff „Digital Industrial Internet“ gebräuchlicher. Nach der Einführung der Automatisierungskonzepte in den 70er und 80er Jahren, stehen wir nun mit der Digitalisierung vor neuen Perspektiven für die Weiterentwicklung von Produktionssystemen. Aus meiner heutigen Sicht werden sechs Potenzialfelder sichtbar.

 

•    Kontextsensitive Assistenzsysteme umfassen alle intelligenten Hilfsmittel, die den Mitarbeiter in seiner Tätigkeit direkt oder indirekt unterstützen.  
•    Innovative Robotersysteme erledigen körperliche und anstrengende Tätigkeiten und können Seite an Seite neben dem Mitarbeiter eingesetzt werden. 
•    Simulation und Fabrikdigitalisierung ermöglichen effiziente Planung und robuste Steuerung von Produktionssystemen
•    Planungs- und Steuerungssysteme erhöhen die Prozesssicherheit 
•    Advanced Analytics führen durch automatisierte Datenvolumina zu umfangreichen Fortschritten
•    Smart Logistics steigert die Gesamteffizienz des Versorgungsnetzwerkes und generiert kostenoptimierte Abläufe

 

Beispiele:
Kontextsensitive Assistenzsysteme: In München testen wir derzeit Smart Watches mit Unterstützung der Mitarbeiter: In der Montage wird der Mitarbeiter durch eine Uhr alarmiert, wenn sich ein außergewöhnliches Fahrzeug mit bestimmten Anforderungen annähert. Ein sogenannter Exotenalarm. Jetzt weiß der Mitarbeiter genau, dass er zusätzliche Teile montieren oder spezifische Teile weglassen muss. Das betrifft insbesondere die Modelle der länderspezifischen Fahrzeuge. Die Konzentrationsfähigkeit und Intelligenz der Mitarbeiter wird dadurch sinnvoll ergänzt. 

 

Innovative Robotersysteme: haben wir in nahezu allen deutschen Werken im Einsatz. Leichtbauroboter agieren in der Montagelinie ohne Schutzzaun zusammen mit den Mitarbeitern. Dabei übernehmen die Roboter die kraftraubenden Arbeiten. Die Mitarbeiter werden entlastet und der Kunde erhält eine gleichmäßig hohe Qualität.

 

Simulation und Fabrikdigitalisierung: Die Struktur des Werkes Goodwood, wo die Rolls-Royce gefertigt werden, haben wir komplett digital erfasst. Die Vernetzung der realen mit der digitalen Welt erleichtert die Planung und Musterfahrzeuge, die damit noch besser in bestehende Strukturen integriert werden können. 

 

Planungs- und Steuerungssysteme: setzen wir unter anderem in unserem Werk in Dingolfingen ein. Hier stellen wir den neuen 7er mit Carbon her. Wie Sie sich vorstellen können, ist der Werkstoff noch neu in der Produktion. Deswegen werden CFK-Bauteile des neuen BMW 7er über die gesamte Prozesskette erfasst, identifiziert und weiterverfolgt. Und nur Teile mit der geforderten Qualität werden weiter verarbeitet. 

 

Advanced Analytics: Wir erfassen die Daten eines robusten Standard Prozesses, die Daten werden automatisch strukturiert und analysiert, Abweichungen vom Prozessstandard lassen sich so schnell erkennen, und dadurch Maßnahmen zur Prozessverbesserung ableiten. So sehen wir sehr genau welche Prozesse fehleranfällig sind und können diese dann gezielt korrigieren.

 

Smart Logistics: „Big Data Technologien“ erhöhen systematisch die Transparenz der internationalen Versorgungsnetzwerke. Die gesamte Lieferkette kommuniziert Ort und Status an eine hoch performante Datenbank. Sie erkennt in Echtzeit mögliche Schwierigkeiten auf dem Transportweg, auf die die Teilversorgung umgehen eingehen kann. Neben diesen Potenzialfeldern der Digitalisierung gibt es einen weiteren Anwendungsbereich, der sich auf den Weg gemacht hat, die Produktion zu verändern. Der 3D Druck ist im Prinzip nichts Neues und wird bei BMW seit 1991 eingesetzt. Doch nun bekommt der 3D Druck zunehmend vermehrte Aufmerksamkeit, allerdings jetzt bei Kunststoffteilen. Der technologische Einsatz all dieser Fertigungsverfahren bei Metallteilen ermöglicht hier auch ganz neue Lösungen. Innovative Teileentwicklungen  kommen beispielsweise in der BMW Group bereits bei Kleinserienbauteilen in der DTM zur Anwendung.

 

Meine Damen und Herren, diese Beispiele machen deutlich, dass Veränderungen durch Digitalisierung in der Produktion durch eine Vielzahl von kleinen Innovationen  stattfinden. Dabei unterstützen sie den bestehenden Produktionsprozess. Voraussetzung dafür ist eine transparente und durchgängige Datenarchitektur des „Internets of things“ innerhalb der eigenen Organisation und bietet dazu den notwendigen Überbau. Diese Architektur muss flexibel genug sein um am unteren Ende ohne großen Aufwand schnell neue Geräte und Sensoren zu integrieren. Genauso reibungslos muss auf der anderen Seite die Anbindung von Mitarbeitern und Partnern möglich sein. Und alles was sich in den Ebenen und Schnittstellen dazwischen abspielt, von der Connectivity, über  Datenanalyse und Datenausgabe muss im Sinne einer stabilen Produktion robust und zuverlässig ablaufen. Diese Entwicklungen betreffen langfristig auch die Rolle des Menschen in der Produktion. Er ist in Zukunft noch viel mehr als heute in Gestalter und Pfleger von Prozessen, die Arbeitswelt wird weiter modernisiert. Und die Reduktion körperlicher anstrengender Tätigkeiten ist auch vor dem Hintergrund des demografischen Wandels ein Gewinn für alle.

 

Meine Damen und Herren, die Automobilbranche ist stärker in Bewegung als je zuvor. Sie hat hohes Wachstumspotenzial, wenn wir flexibel genug sind und wenn wir uns regional den Lokalisierungsbestrebungen stellen. Unsere Produkte sind Innovationsträger und Integrationsobjekte und dadurch sind sie hochattraktiv und wettbewerbsfähig. Die Digitalisierung schafft neue Gestaltungsmöglichkeiten zur Steigerung der Effizienz in der Produktion.

 

Finale Statements:

 

•    Es wird viele Prozesse geben, die nicht digitalisiert werden, wie zum Beispiel der „Lack“. Es gibt Prozesse die hoch analog sind, und es wird ganz besonders auf die Mischung ankommen. Die Herausforderung der heutigen Zeit mit immer mehr Technologien wird sein, den richtigen Mix zu finden, was kann mir helfen und was nicht. 
•    Neben dem Wachstum gibt es auch eine Segmentverschiebung, zum Beispiel zu den X-Fahrzeugen. 
•    Zukunft hat auch etwas mit Herkunft zu tun. Spartanburg wird das größte Werk der BMW Group werden, mit seiner Fertigstellung etwa um 2016. 

 

Es gilt das gesprochene Wort.